Bild nutridate.ch Tatjana Suarez
Interview mit nutridate.ch „Ich möchte dir auf meiner Internetseiten die Küchenarbeit erleichtern, deine Ernährungskompetenz stärken. Tasting zum Beispiel ist einkaufen, anonymisieren, kosten lassen, rechnen & schreiben...."
Liebe Tatjana, du hast ein Zertifikat als Ernährungsberaterin und betreibst die Internetseite nutridate.ch sowie bietest du auch Workshops, Tastings und Beratungen zu verschiedenen Themen an.
Tatjana Hei liebe Manuela, ich habe mich sehr über deine Anfrage gefreut! Der nutridate Blog ist so ein Herzensprojekt. Er war eine Reaktion auf nicht ernst genommene Leiden, auf unverständliche Ernährungsempfehlungen und ich gebe zu, anfänglich auch auf Schwierigkeiten mit dem Gewichtsmanagement. Damit die Geschichten Fleisch an den Knochen bekommen, hatte ich am liebsten Tastings organisiert. Wir haben Olivenöle, Schokolade-, Pizzamehl bzw. Pizzateige, Tomaten, Salz-, Teesorten und vieles mehr gekostet. Das lief meistens so; die Testpersonen haben zuerst eine kurze, ernährungstechnische oder produktspezifische Einführung erhalten, danach konnten sie die verschiedenen Varianten des Produkts blind oder anonymisiert kosten, «bewerten» und wer wollte, konnte im Anschluss über die Ergebnisse bspw. Verwendungszwecke diskutieren oder die mögliche individuelle Wirkung des Lebensmittels auf Körper und Portemonnaie. Fast wie beim Kassensturz, aber besser, weil mittendrin😊.
Mein Ziel war es, die Ernährungskompetenz der Leserschaft, der Teilnehmer und Teilnehmerinnen zu stärken und ihnen so zum bewussteren Konsum zu verhelfen. Dabei standen Qualitätsunterschiede und konsumierte Mengen im Fokus. Qualität bedeutet bei mir, wofür und wann man welches Lebensmittel am besten nutzt und verarbeitet. Spätestens seit Aldi, Lidl und die vielen Webshops Präsenz markiert haben, ist die Lebensmittelauswahl doch etwas bunter geworden und es lohnt sich immer etwas genauer hinzuschauen bzw. doch mal was Neues zu kosten. Die individuelle Ernährungsberatung wird viel einfacher und effizienter, wenn das Gegenüber ein bestimmtes Bewusstsein für die gekauften Lebensmittel entwickelt hat.
Mit welcher Ernährung bist du gross geworden?
Tatjana Die ersten 10 Jahre meines Lebens habe ich auf einem Selbstversoger-Bauernhof gelebt. Es kam auf den Tisch, was die Erde so hergab oder eins der wenigen Nutztiere. Wir Kinder pflückten die Tomaten, Äpfel, Kirschen, wischten sie am T-Shirt ab und bissen rein, durften schon selbst die Hühner rupfen, die Würste machen, den Käse und die Konfitüren. Wir assen Eintöpfe mit Hühnerfüssen und Brennessel-blättern, Weinbergschnecken, Innereien, Eier, Käse und viel Maisbrot. Anfang der 80er Jahre, als ich in die Schweiz kam, wurden zwar immer noch die altbekannten Eintöpfe aufgetischt (allerdings ohne Brennnessel und Hühnerfüsse), aber auch Fertiggerichte. Abgesehen davon, war schon in den 80ern die Auswahl so riesig! Ich fühlte mich wie im Paradies, konnte aus gefühlten 20 Brot- und 15 verschiedenen Fleischsorten wählen; die Fische gab’s in Rot! Nur den Fleischkäse fand ich supersuspekt – das Teil hatte nix mit Käse zu tun. Aber geschmeckt hatte es irgendwie doch. Highlights waren das Grillhähnchen, Pouletflügeli und Pommes. Und dann eben die vielen Produkte zum Fertigmachen oder Aufwärmen. Kartoffelstock aus dem Beutel, die Bolognesen aus dem Tetrapak und Ravioli aus der Büchse - so supercool damals.
Was hat dich bewegt, eine Weiterbildung als Ernährungsberaterin zu machen?
Tatjana Das kam erst spät, nach der Geburt der Kinder und als langsam alle um mich herum plötzlich zu klagen begannen über Übergewicht, Diabetes mellitus, Verstopfungen, Reizdarm, Unverträglichkeiten, aber auch Allergien, Neurodermitis und Bluthochdruck. Ich selbst wog auch immer wie mehr, hatte mit Schmerzen zu kämpfen, konnte aber nicht abnehmen. Damals investierte ich zum ersten Mal in eine Ernährungsberatung (abgesehen von den kostenfreien Säuglings-&Kleinkind-Beratungen) und danach wollte ich das alles auch endlich verstehen.
Ich habe irgendwo gelesen, dass gewisse Nahrungsmittel schlank machen. Wie ist es möglich, dass gewisse Nahrungsmittel eine Gewichtsabnehme ermöglichen?
Tatjana Hui, diese Quelle musst du unbedingt wiederfinden und mir verraten😊Diese Infos sind vermutlich gepaart mit vielen fachtechnischen Zungenbrechern wie Pterostilbene, Polyphenole, Oleylethanolamide, welche uns dumm dastehen lassen und sich nicht selten als halb so wirksam erweisen bzw. nicht bei jeder Person die gleiche Wirkung erzielen.
Generell kann man schon sagen, dass stark sättigende Nahrungsmittel bei einer geringen Kalorienmenge oder geringer Verzehr-Menge die Gewichtsabnahme begünstigen. Zu Deutsch; in den meisten Fällen sind es Ballaststoffe, eiweissreiche Nahrungsmittel und auch Fette, die mit wenig Menge schnell sättigen. Du bleibst länger satt, isst also zwangsläufig weniger und verlierst so Gewicht. Leider ist es leichter gesagt als getan und bei manchen Menschen funktioniert es kaum.
An dieser Stelle möchte ich in Erinnerung rufen; Die Gewichtsabnahme hängt nicht allein von der Ernährung ab. Bestimmt, wir können uns trotz der Unmenge an Ernährungstipps unwissentlich falsch ernähren, zufuttern, uns eine Essstörung antrainieren. Es spielen aber sehr viele weitere Faktoren eine Rolle, die kaum etwas mit Ernährung zu tun haben, u.a. das Alter, Krankheiten (bspw. Das Lipödem, Hashimoto, Tumore etc.) inkl. Medikament-Einnahme und das Stressniveau beeinflussen auch unsere Körperfülle. Da nützt Selleriestange mit Cayennepfeffer nix. Manchmal muss man akzeptieren, dass es jetzt einfach so ist wie es ist, und dass das auch gut und wunderbar ist - sofern schmerzfrei.
Persönlich würde ich es viel nützlicher finden, wenn wir mehr grandiose Werbung mit normalen Körpern zu sehen bekämen, mehr schickere Kleider in der passenden Grösse zur Auswahl hätten, auf breiteren Stühlen sitzen könnten, mehr Energie in bewusstes Kochen stecken würden anstelle ins «wie werde ich die Fettpolster los»… oder die Low-Carb-Diäten; die können superdepressiv machen.
Was kannst du zu den Angeboten für die Abnehmwilligen sagen?
Tatjana Das Angebot ist unendlich gross, insbesondere wenn man den Weltmarkt anschaut. Abführmittel aus allen Himmelsrichtungen, Essenspläne für jeden Lifestyle, Kriolypolysen, Absaugen, Magenbänder, Shakes und neu auch Spritzen für alle. Ozempic, Wagovy und co. erobern derzeit die globalen Märkte. Hier einfach zur Erinnerung, fast alle diese Angebote führen zum gewünschten Ziel, sofern man sie korrekt befolgt. Wenn man aber aufhört sie einzunehmen oder zu befolgen, sind alle Kilos wieder da – oft noch mehr als vorher. Abgesehen vom Magenband, welches meist aus medizinischen Gründen eingesetzt wird, kenne ich keine Diät und kein Präparat, das wirklich nachhaltig schlank hält, wenn man aufhört es einzunehmen.
Was sind für dich persönlich die wichtigsten 5 Ernährungs-Grundsätze?
Tatjana Es gibt ganz berühmte «10 wichtigsten Ernährungsgrundsätze». Ich bin da nicht so streng und ab einem gewissen Alter und den häufig einhergehenden Erkrankungen, stimmen sie auch nicht ganz. Persönlich für mich AKTUELL wichtig sind Prinzipien wie:
Langeweile, Frust oder Belohnung haben nichts mit Essen zu tun. Frische Luft, Bewegung, Lachen, Weinen oder ein sich selbst linken und ein zugrunde liegendes Problem lösen macht viel glücklicher – ein Gin Tonic geht aber immer. (Ist nicht figurfreundlich, aber macht mich glücklich!)
Ich kaufe nur soviel ein pro Mahlzeit für mich, wieviel in meine beide Hände Platz hat – gilt nicht mehr für Kuchen und Süssgetränke. Gilt auch nicht für Teenager, Babies, Schwangere und Betagte.
Ich respektiere die gastrointestinalen Beschwerden meiner Familienmitglieder und Gäste und lasse sie auch mal was selbst bringen oder kochen, wenn ich’s nicht verstehe.
Wann sollte ich einen Ernährungsberater aufsuchen?
Tatjana Wenn ich das gewusst hätte, was ich heute weiss, würde ich regelmässig in eine Beratung gehen. Unbedingt aber wenn’s ungemütlich wird – von Kau- und Schluckbeschwerden bis zu den Hämorrhoiden, Reizdarm und Zielgewicht. Oder wenn Familienküche eine Tortur wird. Wenn Angehörige/Bekannte mit Allergien und gastrointestinalen Krankheiten kämpfen. In der Schwangerschaft, in den Wechseljahren, wenn die Kinder in den Leistungssport wechseln. Es gibt noch viele Gründe mehr, das ist nur der Blick aus meiner aktuellen Perspektive. Und. Ganz wichtig; ich würde eine Ernährungsberaterin mit HF Diplom aufsuchen, möglichst auf das spezialisiert, was dich konkret interessiert (nicht solche wie mich 😊 aber ich bin gut für Tastings).
Hilft eine professionelle Begleitung zum Abnehmen und wie muss ich mir das vorstellen?
Tatjana Ganz bestimmt. Es sind geschulte und meist auch erfahrene Personen, die wissen auf was man achten muss und die wichtigen Leitplanken setzen können. Wieso sich das Leben schwer machen, wenn’s einfach geht? Wieso soll man so ein komplexes Thema wie Gewichtscontrolling selbst in die Hand nehmen - gerade im Bereich der Diäten und Präparate für Gewichtsverlust herrscht viel Irrglaube und Unverhältnismässigkeit beim Selber-grümschele.
Wenn du wissen willst, wie’s läuft. Üblicherweise startete ich eine Beratung mit einer sogenannten Anamnese, vermutlich so wie du es auch tust. Ich stellte viele Fragen zum Gesundheitszustand, zum Essverhalten, kulinarischen Vorlieben, Abneigungen, Familienkonstellation. Ich gab ein Ernährungsprotokoll zum selbst Beobachten und Ausfüllen. Dieses habe ich dann analysiert und daraus Ernährungs- und Verhaltensempfehlungen abgegeben. Bewegungsempfehlungen gab’s dann in den darauffolgenden 3 – 5 Kontrollsitzungen. Manchmal habe ich auch Bewegungsprogramme begleitet.
Unterdessen gibt’s auch gute Apps die etwas unkomplizierter und «anonymer» sind. Oviva ist ein berühmtes Beispiel mit ausgebildeten Ernährungsberaterinnen im Hintergrund.
Als ich im Internet auf Informationssuche war, bin ich auf deine interessante Internetseite nutridate.ch gestossen. Willst du uns noch etwas über diese Internetseite mitteilen?
Tatjana Dieses Herzensprojekt ist mangels Unrentabilität leider eingeschlafen. Allein der Blog ist eine Knochenarbeit, erfordert mehr Planung und technisches Wissen, als man so denkt, dann die Marketingaktivitäten… Ich muss ehrlich gestehen, dass mir die Prävention und die Steigerung der Ernährungskompetenz wichtiger waren als Gewichtscontrolling. Aber der Gewinn kommt nun mal von den Beratungen zum Thema Gewichtscontrolling. Irgendeinmal habe ich entschieden meine Energie in ertragreichere Arbeit zu investieren, die Altersvorsorge wurde plötzlich ein Thema. Vielleicht wird das Tasting nach diesem Interview wieder ins Leben gerufen – ich würde mich sehr freuen😊
Liebe Tatjana, besten Dank für das spannende Gespräch. Ich wünsche dir weiterhin viel Spass und Erfolg mit nutridate.ch
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